Hannappel/Dreßler: Leitfaden Bürgerbegehren, Vertreterbegehren und Bürgerentscheid im Lande Hessen - Ausgabe 2021


Dieses Buch wurde bis zum Jahr 2012 von den mit mir befreundeten und mittlerweile in den Ruhestand getretenen Kollegen Wolfgang Hannappel und Rolf Meireis - ehemals Landeswahlleiter und stellvertretender Landeswahlleiter - herausgegeben, zuletzt in 3. Auflage. Nach der „Bürgerbeteiligungsnovelle“ 2015 habe mich bereit erklärt, für Rolf Meireis, mit dem ich 1999/2000 zwei Aufsätze verfasst habe, in das Autorenteam einzurücken.

Wolfgang Hannappel und ich glauben, dass die Zusammenarbeit zwischen einem Kommunalrechts-Experten und einem Fachmann für das Wahlrecht ideal ist für die Darstellung des zweistufigen Verfahrens. Denn dieses wird nicht nur mit zwei Begriffen "Begehren" und "Entscheid" gekennzeichnet. Es ist auch in zwei Gesetzen (HGO und KWG) geregelt. Entsprechend sind die Zuständigkeiten im Hessischen Innenministerium verteilt.

Im Jahr 2020 wurde es Zeit, eine Neuauflage des Werkes in Angriff zu nehmen. Denn der Landtag hat im Mai des Jahres durch eine Ergänzung des § 8b Abs. 2 Nr. 4 HGO den Bürgerentscheid zu der kommunalpolitisch besonders heftig diskutierten Frage „Wiederkehrender statt einmaliger Straßenbeitrag“ gesetzlich ausdrücklich erlaubt. Wir sind froh, dass wir nunmehr gleich zu Beginn des Jahres 2021 die insgesamt 5., vollständig aktualisierte Auflage des Leitfadens anbieten können.

Wir plädieren für eine andere Sichtweise auf den Bürgerentscheid. Eine solche direktdemokratische Abstimmung über eine Sachfrage kann auch eine Chance für eine Gemeinde und ihre Selbstverwaltung sein und muss keine Bedrohung darstellen. Daher müssen und sollten Bürgerbegehrens-Initiativen auch nicht als "mit allen Mitteln zu bekämpfende" Gegner angesehen werden. Lesen Sie dazu Näheres in dem von mir verfassten Vorwort vom Januar 2021.

Der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier brachte es in seiner Gruß-/Videobotschaft im Vorfeld des Bürgerentscheids in der mittelhessischen Stadt Pohlheim (Landkreis Gießen) am 19.8.2018 auf den Punkt: "...Wenn die Dinge so unterschiedlich gesehen werden, ist es nicht schlecht, wenn die Bürger unmittelbar zum Ausdruck bringen, was sie für richtig halten."

 

Die Neuauflage ist vor allem durch eine im Jahr 2020 vorgenommene Ergänzung des § 8b in Abs. 2 Nr. 4 HGO nötig geworden.
Hintergrund
: In der Gemeinde Hohenroda (Landkreis Hersfeld-Rotenburg) wurde im Juni 2017 ein Bürgerbegehren zur Einführung des „wiederkehrenden“ (anstelle des einmaligen) Straßenbeitrags gem. § 8b Abs. 2 Nr. 4 HGO als unzulässig abgelehnt, da es das Tabuthema "Abgaben" betreffe. Basis dieses Beschlusses war ein Gutachten des HSGB. Ich war anderer Auffassung: Die Aufnahme des Begriffes „Abgaben“ in den Negativkatalog (§ 8b Abs. 2 Nr. 4 HGO) beruhte auf der Erwägung, dass die Gemeinde vor einem Einbruch bzw. gar vor einem Wegfall ihrer Einnahmen geschützt werden muss. Darum geht es hier aber gerade nicht; die Option, den Straßenbeitrag wiederkehrend statt einmalig auszugestalten, wird den Gemeinden ja in § 11a KAG ausdrücklich eingeräumt. Für die Einnahmen-Seite der Gemeinde ist es (auch nach Ansicht des HSGB) ohne Belang, welcher Erhebungsmodus letztlich zur Anwendung kommt. Der Begriff der "Abgaben" muss dem Sinn und Zweck der Ausnahme-Vorschrift entsprechend eng ausgelegt werden. In den rheinland-pfälzischen Gemeinden Lehmen, Hilgert und St. Johann sowie in der bayerischen Gemeinde Scheuring wurden denn auch entsprechende Bürgerentscheide bereits durchgeführt. Leider war der HSGB auch nach der Veröffentlichung meines Aufsatzes "Kann die Auswahl zwischen dem einmaligen und dem wiederkehrenden Straßenbeitrag per Bürgerentscheid getroffen werden? im Oktober 2018 nicht zu einem Einlenken bereit. Der Hessische Landtag hat nun im Rahmen der Kommunalrechts-Novelle vom Mai 2020 in § 8b Abs. 2 Nr. 4 HGO eine bürgerfreundliche Klarstellung eingefügt. Eine große Praxisrelevanz wird die Novelle des § 8b HGO trotz dieser Vorgeschichte dennoch wohl nicht entfalten, denn der Gesetzgeber hat den Gemeinden bereits im Jahr 2018 auch erlaubt, auf die Finanzierung der Straßensanierung per Beitrag gänzlich zu verzichten (§ 93 Abs. 2 Satz 2 HGO).

Der HSGB hat sein tief sitzendes Misstrauen gegenüber dem Bürgerentscheid als direktdemokratischer Entscheidungsform in Sachfragen leider seit der Einführung 1992 nicht abgelegt.
Das zeigte sich besonders deutlich im Jahr 2015, als sich der Spitzenverband sogar vehement gegen das Vertreterhebegehren aussprach, mit dem die Gemeindeparlamente einen Bürgerentscheid von sich aus initiieren können. Das seit dem Jahr 2016 anwendbare Vertreterbegehren hat in der kommunalen Praxis seit 2016 gleichwohl kontinuierlich an Bedeutung gewonnen, wie Sie der offiziellen Statistik des Hessischen Statistischen Landesamts über alle Bürgerentscheide seit dem Mai 1993 entnehmen können: https://statistik.hessen.de/zahlen-fakten/wahlen/buergerentscheide

Für viele Gemeindevertreter wird auch interessant sein, dass sie mit dem Vertreterbegehren in vielen Fällen ein formell unzulässiges Bürgerbegehren „heilen“ und so einen allseits erwünschten Bürgerentscheid doch noch „auf die Rolle“ bringen können (heilendes Vertreterbegehren).  In Schwalbach am Taunus hat die Stadtverordnetenversammlung am 9.11.2017 einen Bürgerentscheid ermöglicht, obwohl bzw. nachdem das Bürgerbegehren unter einem unzureichenden Kostendeckungsvorschlag litt. Die Mandatsträger haben die von dem Bürgerbehren vorgeschlagene Frage für ein eigenes Vertreterbegehren übernommen. Dementsprechend fand erstmals in Hessen am 4.3.2018 ein Bürgerentscheid auf Grund eines heilenden Vertreterbegehrens statt.

Gleich zweimal musste sich das Innenministerium im vergangenen Jahr 2020 zur Zulässigkeit von reichlich langen und "überladenen" Fragestellungen beim Vertreterbegehren äußern. Einmal zur Stadtverordnetenversammlung der Landeshauptstadt Wiesbaden (City-Bahn) und dann noch zur Gemeindevertretung der waldreichen Gemeinde Heidenrod (Holzkohlefabrik). Der Ausgang der beiden Bürgerentscheide zeigt: Fragestellungen, die die Bürger zum Kreuz an der richtigen Stelle hinführen sollen, mögen (noch) zulässig sein, können aber bei den Bürgerinnen und Bürgern Widerwillen erzeugen und "nach hinten losgehen".

Zum Vertreterbegehren habe ich auch den Aufsatz "Das Vertreterbegehren - Herzstück der Bürgerbeteiligungsnovelle vom 20. Dezember 2015 verfasst. Dieser Aufsatz ist quasi ein Seiten-Projekt meiner Arbeit an dem o.a.  Leitfaden. Er enthält all das, was ich zu dem Thema weiß, aber in dem streng praxisorientierten Leitfaden nicht unterbringen konnte.

In Hessen sind die formalen Anforderungen an das Bürgerbegehren vergleichsweise sehr hoch.

Ein Beispiel ist das Ende 2016 in der Gemeinde Schöneck (Main-Kinzig-Kreis) zurückgewiesene Bürgerbegehren gegen den Verkauf des „Alten Schlosses Büdesheim“. Der HSGB hielt den Kostendeckungsvorschlag für unzureichend und hat der Bürgermeisterin laut Presseberichten sogar mitgeteilt, dass sie im Falle eines stattgebenden Beschluss der Gemeindevertretung Widerspruch einlegen müsse. Was so nicht stimmt: Widerspruch nach § 63 HGO muss ein Bürgermeister nur dann einlegen, wenn er persönlich von der Rechtswidrigkeit des Beschlusses überzeugt ist.

Kommt es in einer Gemeinde zum Bürgerentscheid, so wird die betroffene Gemeinde nicht nur für die diesbezüglichen Erläuterungen, sondern auch für den Abdruck der einschlägigen Vordruckmuster des Hessischen Innenministeriums dankbar sein. Auch die relevanten Normen aus HGO, KWG und KWO sind werden in unserem Buch wiedergegeben.

Wichtig ist es auch, wie es weitergeht, wenn das Bürgerbegehren für unzulässig erklärt wird. Etwas skurril ist in disem Zusammenhang der Beschluss des Hess. VGH vom 30.11.2015, wo die Abkehr von der ständigen (mehr als 15 Jahre lang praktizierten) Rechtsprechung des Hess. VGH, dass nämlich bei einer Unzulässig-Erklärung die Feststellungsklage die richtige Klageart sei, in gerade einmal drei (!) Sätzen begründet wird. Die nunmehr für richtig gehaltene Verpflichtungsklage machte es wegen der Erforderlichkeit eines Vorverfahrens nicht nur den Bürgerinitiativen, sondern auch den Gemeindeverwaltungen unnötig schwer. Der Gesetzgeber musste das Hess. Ausführungsgesetz zur Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ändern, um das Widerspruchsverfahren in diesem Fall (wieder) auszuschließen.
Ob diesem Wechsel der Klageart eine lange Haltbarkeit beschieden sein wird, darf im Übrigen stark bezweifelt werden. Das BVerfG hat mit Beschluss vom 22.2.2019 (Az. 2 BvR 2203/18) entschieden, dass die Vertrauenspersonen eines Bürgerbegehrens eine organschaftliche Funktion wahrnehmen und die Verletzung der mit dem Bürgerbegehren verbundenen Kompetenzen als „Organ“ der Gemeinde geltend machen. Insoweit handelt es sich lt. BVerfG um eine kommunalverfassungsrechtliche Streitigkeit, die Vertrauenspersonen machen nicht die Beeinträchtigung von ihnen als natürliche Personen zustehenden Rechten geltend und fallen nicht in den Schutzbereich von Art. 19 Abs. 4 GG.
 

Mein Fazit: Alle Gemeindeverwaltungen, alle Kommunalpolitiker und alle kommunalpolitisch interessierten Bürgerinnen und Bürger sollten über den Bürgerentscheid und die beiden Initiierungs-Alternativen Bescheid wissen.

Das Buch ist nicht ISBN-gebunden und daher nicht über den Buchhandel erhältlich. Bestellungen sind aber jederzeit auch für einzelne Personen oder Bürgerinitiativen möglich über eine Kontaktaufnahme mit dem Außendienst des Verlags, schriftlich, per Mail oder telefonisch (vgl. Bestellschein zu den Angeboten des Verlags betr. Bürgerentscheid in Hessen). Das Buch unterliegt nicht der Buchpreisbindung.
 

 

© Ulrich Dressler, 22.02.2021