Buchbesprechung (veröffentlicht in StAnz. 1999 S. 2492)

Die kommunale Grundrechtsklage in Hessen (Neue Regelung und alte Probleme des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes der Kommunen). Von Reimund Schmidt-De Caluwe. 1996, 99 S., brosch., 38,-- DM. Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden. ISBN 3-7890-4459-8 

Durch die Novelle des Staatsgerichtshofsgesetzes im Jahre 1994 hat der Landtag den hessischen Gemeinden und Gemeindeverbänden mit der Einführung der kommunalen Grundrechtsklage die Möglichkeit eröffnet, bei Verletzungen ihres landesverfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstverwaltungsrechts vor dem Landesverfassungsgericht zu klagen § 46 StGHG). Hierdurch haben die hessischen Kommunen erstmals die Gelegenheit erhalten, die zum Teil über Artikel 28 Abs. 2 GG hinausreichende Garantie des Artikels 137 HVerf gegenüber landesrechtlichen Vorschriften verfassungsprozessual zu mobilisieren.

Der Autor betont zu Recht, dass Hessen im Ländervergleich mit diesem Schritt keineswegs "vorn war", sondern "endlich zum Standard der übrigen Bundesländer aufgeschlossen ist" (Ausnahme - von ihm nicht erkannt: Schleswig-Holstein!). Der neue hessische Datenschutzbeauftragte, Prof. Dr. von Zezschwitz, der den Autor zur Befassung mit dem Thema angeregt hat, mahnte bereits vor Jahren die Einführung des kommunalen Rechtsschutzes vor dem Staatsgerichtshof an (vgl. Zinn/Stein, HVerf., Art. 137 S. 18). Durch die Eröffnung des Rechtsweges zum Landesverfassungsgericht ist die Kommunalverfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht seitdem ausgeschlossen (vgl. BVerfG., B. v. 16.12.1998, NVwZ-RR 1999, 353).

Die Schrift wendet sich an Gemeinden, Gemeindeverbände und ihre Spitzenverbände sowie an alle wissenschaftlich am Kommunalrecht Interessierten. Das neue Verfahren wird erstmals umfassend behandelt und seine Voraussetzungen werden unter vergleichender Heranziehung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes und der einschlägigen Rechtslage in den anderen Bundesländern dargestellt. Der Autor macht keinen Hehl aus seiner Überzeugung, dass die kommunale Verfassungsbeschwerde im Staatsgerichtshofsgesetz nur in einer äußerst fragmentarischen Weise geregelt sei, was zu einer Reihe verfahrensrechtlicher Zweifelsfragen führe. In der Tat ist schon die Bezeichnung als "Grundrechtsklage" in § 46 StGHG durchaus überraschend. Jedenfalls wäre es aus Sicht des Verfassers zumindest glücklicher gewesen, dieser neuen Klageart, wie den übrigen Klagen vor dem Staatsgerichtshof auch, einen eigenen Teil im zweiten Abschnitt der Verfahrensordnung (Zweiter Teil des Gesetzes) zu widmen, der die Besonderheiten des Verfahrens klar und zufrieden stellend hervorgehoben hätte.

Deutlich weist der Autor darauf hin, dass die kommunale Grundrechtsklage in Hessen im Gegensatz zur Mehrzahl der Bundesländer "nur" einfachgesetzlich geregelt ist. Eindringlich mahnt er an, dass bei einer Reform der hessischen Verfassung mittels einer entsprechenden Volksabstimmung nachträglich die Kommunalverfassungsbeschwerde auch verfassungsrechtlich garantiert wird. (Die Verfassungsmäßigkeit des 1994 ebenfalls einfachgesetzlich eingeführten Antragsrechts des Rechnungshofs wurde vom Staatsgerichtshof kürzlich offen gelassen, vgl. B. v. 13.1.1999, in StAnz. 1999 Nr. 7 S. 522, 524).

Dass dieser Weg der verfassungsrechtlichen Verankerung (auch aus Sicht des Rezensenten: leider) zumindest in unmittelbarer Zukunft nicht gegangen werden soll, zeigt sich im Entwurf zur Änderung des Kommunalverfassungs- und -wahlrechts, den die Landesregierung am 6.7.1999 zur Anhörung freigegeben hat. Der einfachgesetzlichen Absicherung, dass die Kommunen gegen vermeintlich verfassungswidriges Landesrecht vor dem Staatsgerichtshof klagen können, folgt dort durch eine Ergänzung des § 46 StGHG eine Klarstellung über den Umfang des Klagerechts: Als rügefähiger Bestandteil des Selbstverwaltungsrechts wird danach auch die ordnungsgemäße Anhörung der Kommunen durch ihre Interessenverbände vor dem Erlass von einschlägigem Landesrecht angesehen.

Aber auch im Bundesrecht wurde die Kommunalverfassungsbeschwerde zunächst 1951 mit § 91 BVerfGG einfachgesetzlich eingeführt und erst 1969 durch Artikel 93 Abs. 1 Ziff. 4 b GG verfassungsrechtlich garantiert. Möglicherweise lässt sich in Hessen dieser zweite Schritt noch in dieser Legislaturperiode mit der anstehenden Verfassungsänderung in Sachen "Konnexitätsprinzip" verbinden. Mit der nach der Koalitionsvereinbarung geplanten Aufnahme des Prinzips der Konnexität zwischen Aufgabenübertragung und Finanzierungsverantwortung in die Landesverfassung - als Symbol und Gewährleistung einer vertrauensvollen und besonnenen Zusammenarbeit zwischen staatlicher und kommunaler Ebene - lässt sich jedenfalls die Hoffnung verbinden, dass die kommunale Verfassungsbeschwerde in der hessischen Praxis aus ihrem Schattendasein auch in Zukunft nicht heraustreten wird. In anderen Bundesländern hat es wegen vermeintlich unzureichender Finanzzuweisungen eine Reihe von kommunalen Verfassungsbeschwerden gegen Aufgabenübertragungs- bzw. Finanzausgleichsgesetze gegeben (vgl. Nds. StGH, Urt. v. 13.3.1996, NVwZ 1997, 58 zum gesetzlichen Zwang zur Bestellung von Frauenbeauftragten; vgl. im übrigen Nds. StGH, B. v. 15.8.1995, DVBl. 95, 1175 und DVBl. 98, 185; VfG Bbg, DÖV 98, 336; LVerfG Sachsen-Anhalt, DVB. 95, 1288; BayVerfGH, NVwZ-RR 98, 601; StGH BW DVBl. 98, 1276 und VwRR SW 1999, 62). Auch wenn diese Verfassungsbeschwerden zumindest teilweise einige Aufsehen erregende Erfolge für die Kommunen brachten, so sollte doch der Gang zum Staatsgerichtshof stets ultima ratio sein. Denn abgesehen davon, dass die Verwaltung insgesamt mit solchen Prozessen in der Öffentlichkeit kein gutes Bild macht, so ist auch bei einem Erfolg nicht garantiert, dass es mit der erzwungenen Neuregelung für die kommunale Seite wirklich besser wird (vgl. Thiele, Zur Neukonzeption des kommunalen Finanzausgleichs in Niedersachsen, KommP N 1999, S. 4). Die distanzierte Haltung der kommunalen Spitzenverbände in Hessen zu diesem Klageeifer verdient jedenfalls, gerade weil es auch schon kritische Stimmen gegeben hat (vgl. HSGZ 1994 S. 436), an dieser Stelle einmal hervorgehoben zu werden. Anlässlich des o.a. Urteils des Landesverfassungsgerichts vom 18.12.1997 hat sich zuletzt auch das Land Brandenburg in den Kreis der Bundesländer eingereiht, die das Konnexitätsprinzip in die Landesverfassung aufgenommen haben, um damit einen Stilwechsel im Verhältnis zwischen Land und Kommunen - Indikative statt imperativer Steuerung - herbeizuführen (vgl. Schumacher, KommP MO 1999, 206).

Ministerialrat Ulrich Dreßler

© Ulrich Dressler, 04.08.2007